Nachhaltigkeit braucht wieder Nachhaltigkeit
Von Compliance zu Commitment: Warum CS mehr braucht als RD
Die Corporate Sustainability Reporting Directive sollte Klarheit bringen. Stattdessen herrscht oft Stille dort, wo einst lebendige Nachhaltigkeitskommunikation blühte. Unser aktueller CR Benchmark zeigt: Die regulatorische Maschinerie läuft, aber die menschliche Komponente droht auf der Strecke zu bleiben. Zeit für eine Bestandsaufnahme – und für neue Wege.
Die große Verunsicherung: Wenn Vorsicht zur Lähmung wird
Es ist paradox: Nachhaltigkeit war nie so wichtig wie heute – und gleichzeitig nie so leise und inhaltsleer. Während sich Compliance-Abteilungen durch Paragrafen arbeiten und Rechtsabteilungen jede Formulierung prüfen, verstummen die Geschichten, die Menschen bewegen könnten. So ist es nicht verwunderlich, dass die Zahl eigenständiger CR-Blogs auf magere 10% geschrumpft ist. Ein Minus von 30% im Vergleich zu 2021. Dasselbe gilt bei wichtigen Kennzahlen beim Klimaschutz. Ein Beispiel: Nur noch ein Drittel der von uns untersuchten Unternehmen stellen detaillierte, leicht zugängliche Informationen zu den Emissionen von Treibhausgasen im Mehrjahresvergleich auf der Website bereit. Die anderen 64% verweilen in der Defensive oder verstecken die Zahlen in schwer durchsuchbaren Dokumenten.
Diese Entwicklung ist verständlich. Wer möchte schon wegen einer unglücklichen Formulierung in den Schlagzeilen stehen oder juristische Konsequenzen fürchten müssen? Doch was als Schutz gedacht ist, wird zunehmend zur Falle. Denn wer nicht mehr erzählt, kann nicht mehr überzeugen. Wer sich nicht mehr traut zu zeigen, was bereits erreicht wurde, verliert das Vertrauen derjenigen, die auf Fortschritt hoffen.
Die Folgen liegen nah: Stakeholder wenden sich ab, weil sie keine Orientierung finden. Mitarbeitende verlieren den Bezug zu den Nachhaltigkeitszielen ihres Unternehmens. Investoren suchen vergeblich nach den Informationen, die sie für ihre Entscheidungen benötigen.
Greenhushing, die neue Zurückhaltung, erweist sich als nicht weniger problematisch als das Greenwashing vergangener Zeiten.
CSRD: Die Richtung stimmt, der Weg ist noch weit
Die Corporate Sustainability Reporting Directive zeigt durchaus Wirkung – wenn auch nicht in der erhofften Tiefe. Immerhin veröffentlichen 96% der größten deutschen Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsberichte als PDF, im Umkehrschluss tun es zwei Konzerne noch immer nicht! Nur 34 % der Unternehmen präsentieren ihre Nachhaltigkeitszahlen in einem online-gerechten Format in ihrem digitalen Bericht.
Und bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Viel Verpackung, wenig revolutionärer Inhalt. Die meisten Unternehmen erfüllen die formalen Anforderungen, aber die Substanz bleibt oft oberflächlich. Mehrjahresvergleiche, die Fortschritt sichtbar machen könnten, sind nach wie vor selten. Interaktive Dashboards, die Stakeholdern helfen würden, die Entwicklung zu verstehen, bleiben die Ausnahme. Die ehrliche Auseinandersetzung mit Zielkonflikten oder noch nicht erreichten Meilensteinen findet kaum statt.
Das Dilemma ist offensichtlich: Die CSRD hat Struktur in die Berichterstattung gebracht, aber sie allein reicht nicht aus, um Vertrauen zu schaffen. Wer nur Compliance-Boxen abhakt, verpasst die Chance auf echte Bindung zu seinen Stakeholdern.
Digitale Transformation: Technik ja, Begeisterung nein
Die gute Nachricht: Die Digitalisierung der Nachhaltigkeitskommunikation kommt voran. 72% der Unternehmen sehen einen Zusammenhang von Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Ein Plus von 46% im Vergleich zu 2021. Die technischen Grundlagen, wie die Optimierung der Ladezeiten, die Verbesserung der SEO-Performance und die mobile Nutzung, werden zunehmend berücksichtigt und werden von nur etwa der Hälfte aller untersuchten Unternehmen erfüllt.
Hier zeigt sich das nächste Paradox: Während 82% der Unternehmen Inklusion inhaltlich auf ihren Nachhaltigkeitsseiten thematisieren, bleibt die technische Umsetzung digitaler Barrierefreiheit mangelhaft. Das heißt: Inklusion wird kommunikativ stark betont, findet aber in der praktischen Webseitengestaltung oft keine Entsprechung – gerade im Jahr des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) eine verpasste Chance für glaubwürdige Kommunikation.
Vielfalt und Authentizität: Bewährtes weiterentwickeln, Neues wagen
Im Bereich Diversity, Equity and Inclusion (DEI) zeigt sich ein differenziertes Bild. Diversität gehört längst zum Standardrepertoire der CR-Kommunikation.
Gesellschaftspolitische Bekenntnisse werden zum neuen Standard: : Ein Zuwachs von 26% bei Anti-Rassismus-Positionierungen (auf 64%) und 14% bei Stellungnahmen zu sexueller Orientierung (auf 70%) seit 2021 zeigt – der Mut zur Haltung wächst, Unternehmen trauen sich (noch immer), Farbe zu bekennen.
Die Praxis in unseren CR-Checks erzählt seit Januar 2024 eine andere Geschichte: Während die Positionierungszahlen steigen, wächst die kommunikative Zurückhaltung. Die angespannte geopolitische Lage verstärkt die Polarisierungsangst – und macht wichtige Werteentscheidungen zu stummen Bekenntnissen.
Gleichzeitig gibt es bedauerliche Rückschritte: Themen wie Bildung, Kulturförderung oder Wissenschaftsengagement werden seltener kommuniziert, obwohl sie langfristig zur glaubwürdigen Positionierung beitragen könnten. Hier zeigt sich ein Symptom der aktuellen Fokussierung auf kurzfristige Risikominimierung zu Lasten langfristiger Reputationsarbeit.
Erfreulicher ist hingegen ein anderer Trend: Über 3/4 der Unternehmen setzen inzwischen auf persönliche Einblicke und authentische Testimonials in Form ihrer Beschäftigten. Diese menschlichen Geschichten sorgen für Glaubwürdigkeit und machen abstrakte Nachhaltigkeitsziele greifbar.
Renaissance der Nachhaltigkeit: Fünf Prinzipien für den Neustart
Authentizität schlägt Perfektion
Die erfolgreichsten Unternehmen haben verstanden: Ehrlichkeit über Herausforderungen schafft mehr Glaubwürdigkeit als perfekte Erfolgsbilanzen. Wer offen über Hürden spricht, zeigt nicht Schwäche, sondern Vertrauenswürdigkeit. Stakeholder schätzen die Bereitschaft, auch schwierige Themen anzugehen, mehr als makellose Fassaden.
Geschichten ergänzen Zahlen
Daten informieren, aber Geschichten bewegen. Die 92% der Unternehmen, die über Diversity sprechen, schaffen wichtige Transparenz. Doch erst die 78%, die zusätzlich persönliche Mitarbeitergeschichten erzählen, machen diese Zahlen lebendig und nachvollziehbar. Fast 1/4 verpassen diese Chance.
Digitale Möglichkeiten konsequent nutzen
Die technischen Grundlagen sind da – jetzt gilt es, sie kreativ zu nutzen. Interaktive Dashboards, Mehrjahresvergleiche und Zielerreichungsvisualisierungen können Fortschritt nicht nur dokumentieren, sondern erlebbar machen. Die 22% der Unternehmen, die bereits erweiterte digitale Kennzahlentools einsetzen, zeigen den Weg.
Kontinuität vor Kampagne
Nachhaltigkeit ist ein Prozess, keine Veranstaltung. Regelmäßige Updates, offene Dialoge und kontinuierliche Aktualisierungen schaffen mehr Vertrauen als punktuelle Großkampagnen. Wer seine Stakeholder das ganze Jahr über mitnimmt, erreicht mehr als derjenige, der nur zur Berichtssaison sichtbar wird.
Mut zu Haltung und Substanz
Die Zeiten, in denen Nachhaltigkeit als nettes Extra behandelt werden konnte, sind vorbei. Heute braucht es klare Positionierungen, messbare Ziele und den Mut, auch unangenehme Wahrheiten zu kommunizieren. Wer sich traut, Farbe zu bekennen, unterscheidet sich von der Masse der Vorsichtigen.
- Individueller Vergleich: Wo steht Ihre Website im Benchmark?
Erfahren Sie, in welchen Bereichen Sie bereits überzeugen und wo Chancen liegen. - Datenbasierte Erkenntnisse: Erhalten Sie valide Kennzahlen maßgeschneidert auf Ihr Unternehmen.
- Sofort umsetzbare Optimierungen: Identifizieren Sie konkrete Maßnahmen, die mit überschaubarem Aufwand messbare Verbesserungen bewirken.
Nachhaltigkeit am Wendepunkt – Jetzt oder nie
Der aktuelle CR Benchmark offenbart eine unbequeme Wahrheit: Während wir uns in Compliance-Schleifen verlieren, brennt die Welt. 2024 war das heißeste Jahr der Menschheitsgeschichte, geopolitische Konflikte destabilisieren ganze Regionen, und mehr als die Hälfte aller Risikoexperten prognostiziert eine turbulente Dekade. Doch ausgerechnet jetzt verstummt die Nachhaltigkeitskommunikation.
Das Dilemma: Compliance vs. Vertrauen
Die Zwickmühle der CR-Manager:innen ist real: Regulatorische Anforderungen steigen, juristische Risiken wachsen, Abstimmungsschleifen werden länger. Diese Vorsicht ist berechtigt – und gleichzeitig verhängnisvoll. Denn während Unternehmen auf Nummer sicher gehen, verlieren sie die Kraft zur Mobilisierung, zur Inspiration, zur gesellschaftlichen Veränderung.
Greenhushing ist nicht harmloser als Greenwashing – es ist nur stiller. Wenn Unternehmen aufhören zu erzählen, hören Menschen auf zu glauben. Das Ergebnis: Nachhaltigkeit wird zur regulatorischen Fußnote degradiert, genau in dem Moment, wo sie als gesellschaftliche Bewegung am meisten gebraucht wird.
Die historische Chance: Mut zur substanziellen Mitte
Wer jetzt den Mut fasst, über Mindestanforderungen hinauszugehen, kann Nachhaltigkeitskommunikation neu definieren. Compliance als Fundament verstehen, nicht als Deckel. Die erfolgreichen Unternehmen der kommenden Jahre werden authentische Geschichten erzählen – rechtssicher, aber berührend. Daten transparent machen – geprüft, aber zugänglich. Ziele kommunizieren – realistisch, aber inspirierend.
Der Wendepunkt ist jetzt
Nachhaltigkeit steht vor der Entscheidung: Lebendige, mobilisierende Kraft oder bürokratische Routine? Können wir uns weiterhin im Compliance-Hamsterrad drehen?
Der Auftrag ist klar: Die Grundlagen sind gelegt, die Technik steht bereit. Jetzt braucht es nur noch den Willen, Nachhaltigkeit das zurückzugeben, was sie verdient – eine Stimme, die gehört wird.