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1. August 2025 | Thorsten Greiten

Digitaler Dornröschenschlaf – warum die Rüstungsindustrie endlich aufwachen sollte 

Beitrag: Digitaler Dornröschenschlaf – warum die Rüstungsindustrie endlich aufwachen sollte 

In einer Zeit, in der Sicherheitspolitik wieder zur gesellschaftlichen Debatte geworden ist, reicht technisches Können allein nicht mehr aus. Rüstungsunternehmen – insbesondere im Mittelstand – sind gefordert, ihre Rolle in der Verteidigungsarchitektur klar und verständlich zu erklären. Selbstbewusste Kommunikation bedeutet nicht, sich in den Vordergrund zu drängen, sondern Verantwortung sichtbar zu machen. Transparenz schafft Vertrauen – bei Politik, Partnern und potenziellen Mitarbeitenden.

Deutschlands Verteidigungsindustrie erlebt eine Renaissance. Milliardenaufträge, geopolitische Dynamiken, wachsender Verteidigungsbedarf – spätestens seit der „Zeitenwende“-Rede von Olaf Scholz ist klar: Die sicherheitspolitische Lage hat sich grundlegend verändert. Die Industrie reagiert: neue Fertigungslinien, neue Standorte, neue Allianzen. 

Doch kommunikativ wirkt ein Großteil der mittelständischen Rüstungsunternehmen wie aus der Zeit gefallen. Während Großkonzerne wie Rheinmetall oder HENSOLDT sich in Interviews, Quartalsbriefings und LinkedIn-Posts selbstbewusst als Garanten europäischer Sicherheitsarchitektur präsentieren, agieren viele Mittelständler weiter im Modus der 2000er: zurückhaltend, reaktiv – und digital abwesend. 

Die kommunikative Leerstelle 

Viele der analysierten Unternehmen liefern zentrale Komponenten für Schutz, Aufklärung, elektronische Verteidigung. Doch wer ihre Website besucht, trifft oft auf: 

  • veraltete Pressebereiche ohne aktuelle Inhalte, 
  • unattraktive Karriereseiten ohne Mehrwert, 
  • keinerlei Positionierung in sozialen Medien oder digitalen Kanälen.  
  • Völlig unzureichende Server- und Hosting-Strukturen 
  • Suchmaschinenoptimierung? Fehlanzeige. 

Die Zeitenwende scheint in der Produktion einigermaßen angekommen zu sein – aber nicht in der digitalen Welt… 

Warum Unternehmen selbstbewusst, transparent und mutig kommunizieren sollten 

In einer Zeit, in der Sicherheitspolitik wieder zur gesellschaftlichen Debatte geworden ist, reicht technisches Können allein nicht mehr aus. Rüstungsunternehmen – insbesondere im Mittelstand – sind gefordert, ihre Rolle in der Verteidigungsarchitektur klar und verständlich zu erklären. Selbstbewusste Kommunikation bedeutet nicht, sich in den Vordergrund zu drängen, sondern Verantwortung sichtbar zu machen. Transparenz schafft Vertrauen – bei Politik, Partnern und potenziellen Mitarbeitenden. Und mutige Kommunikation ist notwendig, um komplexe, manchmal auch kontroverse Themen nicht anderen zu überlassen. Raus aus der Schmuddelecke: Wer offen zeigt, wie er zur Sicherheit und Souveränität beiträgt, positioniert sich als relevanter Akteur – nicht nur auf dem Markt, sondern auch im gesellschaftlichen Diskurs. 

Die Zeit rennt, die Dimension der Zeitenwende ist historisch: Allein der Bundeswehr-Sonderetat von 100 Milliarden Euro und der steigende Verteidigungshaushalt bringen ein Beschaffungsvolumen in nie dagewesenem Ausmaß. Hinzu kommen internationale Aufträge, europäische Rüstungskooperationen und ein massiver technologischer Modernisierungsdruck – die Industrie steht vor der Herausforderung, innerhalb weniger Jahre das zu leisten, wofür früher Jahrzehnte Zeit war. 

Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die volle Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr bis spätestens 2030 herzustellen. 2027–2030 gelten in aktuellen Planungen (z.B. durch das BMVg und Bundestagsunterlagen) als entscheidende Frist für die vollumfängliche Verteidigungsfähigkeit Deutschlands im Bündnisfall. 

Konkret bedeutet das: 

  • Einsatzbereitschaft der neu zu beschafften Großsysteme wie F-35, CH-47F, Eurofighter-Weiterentwicklungen und digitaler Gefechtsverbund (u.a. „luWES“), 
  • Aufbau der Division 2025 (als erste voll ausgestattete und einsatzbereite Großverbandseinheit), 
  • substanzielle Fortschritte bei Munition, Digitalisierung, Führungsfähigkeit und Resilienz gegen Cyberangriffe, 
  • Integration in europäische und NATO-Planungen, etwa das NATO-Ziel der „High Readiness Forces“. 

Folglich gibt es neben der gesellschaftlichen Aufgabe auch handfeste Gründe in der Unternehmensstrategie, ein sofortiges Umdenken erfordern. 

1. Finanzierungsbedarf & Creditor Relations 

Die gewaltigen Ziele erfordert zuallererst Produktionskapazitäten! Viele mittelständische Unternehmen benötigen den nächsten Jahren erheblich Kapital für Investitionen in Produktion, Personal und IT. Doch während börsennotierte Unternehmen, wie Rheinmetall oder HENSOLDT, durch ihre Organisationsstrukturen regelmäßig Kapitalmarkt-Updates geben, fehlt bei Mittelständlern oft jegliche Form von Kreditgeber- oder Investorenansprache. Weder Banken noch Förderinstitutionen bekommen einen klaren Eindruck vom Potenzial oder der strategischen Ausrichtung. Wer als Verteidigungszulieferer wachsen will, muss auch transparent, nachvollziehbar und zukunftsgerichtet kommunizieren. 

2. Fachkräftemangel & schlechte Karriereseiten – wie kommt der Gen Z-Ingenieur in die Provinz? 

Gerade im Bereich Maschinenbau, Werkzeugtechnik, Elektronik, IT, Sensorik oder Cyberabwehr ist der Wettbewerb um Talente hoch – doch viele Karriereseiten der Branche wirken: generisch, stumpf, technisch und menschenleer. Die Kommunikation ist gefühlt Lichtjahre entfernt von modernem Employer Branding. Dringend benötigte Fachkräfte wollen aber verstehen, was sie tun, wofür es gebraucht wird – und was es bewirkt. Das gelingt nicht mit DIN A4-Formularen und postalischen Adressen, sondern mit Geschichten, Bildern, klaren Profilen. Viele Unternehmen haben keinerlei Präsenz auf Jobportalen, Social Media oder anderen digitalen Plattformen. 

Hinzu kommt eine strukturelle Herausforderung, wenn man „nur die Besten will“; wie alle. Die Standorte der mittelständischen Verteidigungs- und Zuliefererindustrie liegen überraschend häufig außerhalb der klassischen Metropolen und sind in ländlichen oder industriell geprägten Regionen angesiedelt – also nicht im hippen Berlin, München, Frankfurt oder Hamburg, sondern in Städten wie Ulm, Pforzheim, Salem, Radolfzell, Dietingen, Unterkirnach, Bermatingen, Ehingen oder Bühl. Auch größere Mittelstädte wie Bremen, Koblenz, Friedrichshafen oder Fürstenfeldbruck spielen eine wichtige Rolle. Viele deutsche Rüstungsunternehmen liegen häufig in der Nähe ehemaliger Wehrtechnischer Dienststellen, BW-Standorte oder spezialisierter Zuliefercluster (z.B. Raumfahrt in Friedrichshafen, Optik in Wetzlar, Elektronik in Pforzheim, Mechanik in Südwürttemberg). Wer in Bermatingen oder Dietingen sitzt, muss doppelt so viel tun, um Aufmerksamkeit in Berlin oder Brüssel zu erzielen. 

3. Cyberattacken und digitale Souveränität 

Die weltpolitischen Spannungen eskalieren – und das Schlachtfeld verlagert sich zunehmend in den digitalen Raum. Mittelständische (Rüstungs-)Unternehmen stehen zunehmend im Fokus von staatlich motivierten Hackerangriffen – allein durch ihre Rolle in der Lieferkette. Doch wer digitale Resilienz aufbauen will, muss auch digital kommunizieren können: Wie wird mit Sicherheitsrisiken umgegangen? Welche Standards gelten intern? Welche Partnerschaften (z.B. mit IT-Sicherheitsfirmen) oder Zertifizierungen bestehen? Die alten Muster unserer nationalen Sicherheit gelten nicht mehr.  

Mittelfristig braucht es in jedem Unternehmen eine Strategie der digitalen Souveränität. Was passiert, wenn die USA europäische Unternehmen von ihren Tech-Diensten abschneiden? In einem anderen Beitrag haben wir ein realistisches Szenario digitaler Abhängigkeiten skizziert und zeigen auf, wie Unternehmen ihre digitale Souveränität gezielt stärken können. Open Source wird zur Schlüsselkomponente. Warum? Die Industrie kann sich hier ein Beispiel an Ihren an ihrem eigenen Thema nehmen: Die Zukunft moderner Verteidigung liegt in interoperablen Systemen, offenen Standards und digitaler Eigenständigkeit Europas. Wer sich hier nicht positioniert, wird von der Debatte ausgeschlossen. Mittelständler, die Schlüsseltechnologien liefern, sollten aktiv erklären wie sie zur Souveränität beitragen und warum offene Schnittstellen keine Bedrohung, sondern strategischer Vorteil sind.  

4. Nachhaltigkeit & ESG-Erwartungen – Verteidigung und Nachhaltigkeit schließen sich nicht aus. 

Im Gegenteil: Die Erwartungen an klimaneutrale Produktion, nachhaltige Lieferketten und transparente ESG-Berichterstattung steigen – nicht nur bei Kunden, sondern auch bei Behörden, Investoren und zukünftigen Mitarbeitenden. Doch viele Mittelständler bieten dazu weder Inhalte noch Perspektive auf ihren Kanälen. Warum ist das neben anderen oben genannten Punkten ein Muss? 

Gutes ESG-Reporting ist heute ein entscheidender Hebel in der Kreditvergabe. 

Gerade für Unternehmen mit potenziell kontroversen Produkten wird es zur Vertrauensbasis gegenüber Banken, Fördergebern und Versicherern. Wer ESG nicht als „Marketingpflicht“ sieht, sondern als strategischen Teil der Kapitalmarktkommunikation – verbessert seine Finanzierungschancen, senkt Risiken und positioniert sich langfristig robuster. ESG-Reporting und Creditor Relations sind heute eng miteinander verknüpft. Besonders in kapitalintensiven Industrien wie der Verteidigungs- und Zulieferbranche. Banken und Finanzierungsgeber müssen aufgrund regulatorischer Vorgaben, etwa durch die EU-Taxonomie oder die MaRisk-Novelle, Nachhaltigkeitsaspekte systematisch in ihre Kreditvergabe einbeziehen.  

Unternehmen, die ihre ESG-Risiken nicht transparent machen oder keine belastbaren Daten liefern, gelten als riskanter – mit spürbaren Folgen: schlechtere Bonitätsbewertungen, höhere Finanzierungskosten oder strengere Auflagen. Ein professionelles ESG-Reporting wirkt dem entgegen. Es schafft Vertrauen, zeigt, wie robust das Unternehmen gegenüber regulatorischen Anforderungen, Energiepreisrisiken oder Lieferkettenproblemen aufgestellt ist, und dokumentiert, dass Umwelt, soziale Verantwortung und gute Unternehmensführung ernst genommen werden. 

Welche Faktoren sind hier besonders relevant? 

Gerade im Rüstungsumfeld ist dabei die Governance-Komponente besonders relevant: Banken erwarten klare Strukturen zur Exportkontrolle, wirksame Compliance-Systeme und ein transparentes Risikomanagement. Auch wenn Rüstungsunternehmen in klassischen ESG-Ratings teils ausgeschlossen sind, bewerten Banken sie differenzierter – insbesondere, wenn es um NATO-konforme oder staatlich legitimierte Aufträge geht. Wer hier klare Positionen kommuniziert und ESG nicht als Pflichtübung, sondern als strategischen Teil seiner Kapitalmarktkommunikation versteht, verbessert seine Finanzierungschancen deutlich – und positioniert sich langfristig als verlässlicher Partner im sicherheitspolitischen wie wirtschaftlichen Kontext. 

Raus aus dem kommunikativen Dornröschenschlaf 

Die deutsche Rüstungsindustrie steht vor ihrer größten strategischen und industriellen Herausforderung seit Jahrzehnten – doch kommunikativ verharrt ein Großteil des Mittelstands im Standby-Modus. Wer heute liefern will, braucht nicht nur Fertigungskapazität, sondern auch Sichtbarkeit, Vertrauen und digitale Anschlussfähigkeit. Und damit ist nicht die Durchwahlnummer für das Faxgerät gemeint. 

Kommunikationsstärke ist kein Nice-to-have mehr, sondern Voraussetzung für Finanzierung, Fachkräftegewinnung, Resilienz und Zukunftsfähigkeit. Die Zeitenwende ist real – auch in der Kommunikation. Jetzt ist die Zeit, aufzuwachen, Position zu beziehen und zu zeigen: Wir sind Teil der Lösung. Verantwortlich. Selbstbewusst. Und sichtbar. 

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