Aktuelle KI-Entwicklungen in der Finanzkommunikation – Teil I
Wir stehen an der Schwelle einer neuen Ära, in der Technologie nicht nur ein Werkzeug ist, sondern ein integraler Bestandteil jeder strategischen Überlegung eines Unternehmens wird. Besonders in den Investor Relations sehen wir bereits heute, wie KI die Effizienz steigert, die Genauigkeit verbessert und völlig neue Möglichkeiten für die Interaktion zwischen Unternehmen und Investoren schafft. Im ersten Teil beschäftigen wir uns damit, warum sich Investor Relations oft so schwertut.
KI ist eine Revolution und wird nicht wieder verschwinden
Die aktuelle Berufswelt der Kapitalmärkte werden wir bereits in wenigen Jahren nicht mehr wiedererkennen. Das bedeutet, wer sich nicht mit den Chancen der KI beschäftigt, sondern in seiner passiven Beobachterposition verharrt, wird große Probleme bekommen. Das Blickfeld der Investor und Media Relations Abteilungen muss sich in den kommenden Jahren auf Maschinen, Investment-relevanten Content und User richten, statt weiter auf Analysten, die durch schlaue Algorithmen ersetzt werden.
Investor Relations Verantwortliche betrachten die KI-Nutzung derzeit ausgesprochen zögerlich, zeigt die letzte Untersuchung der FH St. Pölten. Noch herrscht viel Misstrauen in diese neue Form digitaler Technologien. Selten war eine Entwicklung jedoch so rasant und einschneidend: ChatGPT ist gerade einmal 15 Monate auf dem Markt. IR muss sich also umgehend von in 30 Jahren gelernten Pfaden verabschieden und der Fremdheit schnell schrittweise annähern. Die Mehrheit der IR-Professionals schätzt ihr KI-Wissen derzeit als eher niedrig ein. Zögerlichkeit, Ignoranz oder Verdrängung bedeuten einen unnötigen Zeitverlust.
Woher kommt die Pfadabhängigkeit?
Im Wesentlichen sind es drei Faktoren, die im ureigensten Berufsbild entspringen. Dieses berufliche Selbstverständnis hat sich seit den 90er Jahren nur langsam entwickelt und nun - wie der ganze Kapitalmarkt - in einem exponentielle beschleunigten Technologieumfeld unter Druck verändert. Die gelernten Pfade sind sehr ausgetreten. Wie kann man hier schritthalten?
Faktor 1: Neue Zielgruppen
in vielen Abteilungen der deutschen Konzernwelt heißt es immer noch: “Institutionelle Investoren und Analysten sind unsere wichtigste Zielgruppe“. Diese Aussage mag richtig sein, wenn man die Figuren auf dem Kapitalmarkt-Schachbrett betrachtet, die eventuell Einfluss auf den Aktienkurs haben könnten. Die Aussage ignoriert jedoch, dass Analysten einerseits eine maschinell bedingte „aussterbende“ Berufsgattung sind und andererseits selbst auf KI-gesteuerte Software setzen. Maschinen und Algorithmen müssen zwingend als neue, wichtigste Zielgruppe begriffen werden. Auch mobile, digitaldenkende Privatinvestoren drängen durch das Angebot an neuen, einfachen Produkten wie vollautomatisierte ETF in die Kapitalmärkte und gewinnen an Einfluss. Der institutionelle Investor verliert an Gewicht.
Faktor 2: Content und Berichtsformate
Der zweite Faktor beschreibt ein arbeitskulturelles Problem. Bisher war es üblich, mit Fokus auf der Hauptpublikation, dem jährlichen Geschäftsbericht, auf das zurückliegende Jahr oder das Quartal zu blicken. Auch die Form war klar vorgegeben. Der Bericht musste im DIN A4 Format in unzähligen Abstimmungsrunden mit den Bereichen abgenommen werden. Noch immer gibt es den ein oder anderen Konzern, der seinen gedruckten Geschäftsbericht tatsächlich mit viel Papier und reichlich Porto in alle Welt versendet. Da in einer blitzschnellen digitalen Welt der Rückblick in die Vergangenheit nur eine geringe Rolle spielt, hat dieses Format seine frühere Funktion in diesem Format komplett verloren. Die Idee, sich weiter auf die Darstellung von Inhalten im DIN A4 Format zu konzentrieren, ist jedoch geblieben. In der Zukunft sollten Inhalt und Layout aber getrennt voneinander betrachtet werden. Digitales Denken muss der Kommunikation vorausgehen: Im Kern stehen drei Fragen: Wie bringe ich meine Investment Story zum User? In welcher Form muss ich Daten zur Verfügung stellen? Welche technologischen Entwicklungen sollte ich im Blick haben?
Faktor 3: Themensetzung
Die Breite und Vielfalt der Themen, zu denen ein EM in Stellung nehmen muss, hat zugenommen. Diese Themenvielfalt verändert auch die Organisation. Ein Beispiel: viele IR-Abteilungen übernehmen auch das Thema ESG und damit organisatorisch den ganzen Bereich der Nachhaltigkeit. Die Umsetzung der CSRD-Richtlinie ist hier neben dem Zeitgeist der große Treiber. Die Rolle des IR-Managers ändert sich dadurch im Ganzen schneller als gedacht. Statt Spezialisten für “DIN A4-Reporting-Prozesse” sind Generalisten gefragt, die ein umfassendes Wissen bzw. Verständnis aus den Themenbereichen Betriebsabläufe, Wertschöpfung, ESG, politische Haltung, Big Data, Strategie und Digitalisierung haben. Hier werden mehr Eigenverantwortlichkeit und Arbeit im Team gefragt sein als bisher. Die große Chance: IR-Teams werden fester, gestaltender Teil der Konzernstrategie, um Corporate Story und Purpose für digitale Stakeholder & Shareholder und damit für Maschinen aufzuarbeiten.
Hinzu kommen ein hektisches Tagesgeschäft, die starke Abhängigkeit einer lahmen IT, das Desinteresse des CFO und damit auch das Fehlen einer (digitalen) Kommunikationsstrategie, die sich mit zukünftigen Entwicklungen auseinandersetzt. Es werden kaum neue Ressourcen aufgebaut, sich einerseits mit digitalen Themen auskennen, andererseits das breite Fachwissen mitbringen. Die meisten IR-Teams verharren dadurch im stressigen „Run Business“-Ansatz. Immer mehr Arbeit wird durch immer weniger Köpfe geschultert, bestehende Systeme und Prozesse irgendwie „am Laufen“ gehalten. Es muss hier dringend kultureller Raum für einen stringenten „Build – Run – Change – Manage“- Ansatz geschaffen werden, um sich fit für die Zukunft zu machen.
Die zukünftige Ausrichtung erfolgreicher IR-Abteilungen wird also nicht nur von inhaltlicher Arbeit und technischem Know-How abhängen, sondern auch Anforderungen an moderne Führungskultur und neue Organisationsformen stellen!
Über die Autoren:
Dipl.-Kaufm. Thorsten Greiten (50) studierte BWL mit den Schwerpunkten Steuerlehre und Wirtschaftsinformatik an der Universität Mannheim. Er ist Geschäftsführer bei NetFederation und fachlich verantwortlich für den Bereich Digitale Finanzkommunikation. Er ist seit 2022 als Lektor mit der Vorlesungsreihe „Digitale Investor Relations“ im Department Digital Business und Innovation für die Fachhochschule St. Pölten tätig.
Boris Janek (57) ist Sozialwissenschaftler und seit mehr als 20 Jahren damit beschäftigt Innovation und Wandel von Organisation und Mensch zu fördern. Er ist Gründer und Inhaber von OPTIMINNO und setzt auf Generative KI um Menschen kreativer und Organisationen innovativer zu machen ein. Vorher war er in verschiedenen Rollen als Innovator und Geschäftsfeldentwickler u.a. in der genossenschaftlichen Finanzgruppe tätig.
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