1. August 2018 | Thorsten Greiten

Wäre Staatsaffäre um #Özil zu verhindern gewesen?

Eine Verkettung tragischer Kommunkationsfehler: Die Aufregung um Özil nimmt kein Ende

Seit dem Foto von den Fußballern Mesut Özil, Ilkay Gündogan und dem türkischen Präsidenten Erdogan ist so einiges passiert. Von der Fußball-Weltmeisterschaft über die Präsidentschaftswahlwahlen in der Türkei bis hin zu Özils Ausstieg aus der deutschen Nationalmannschaft – das Thema nimmt den Raum einer Staatsaffäre ein.

Das Foto zwischen den Fußballern und dem türkischen Präsidenten hat zwar international für Aufsehen gesorgt, jedoch wird die reine Diskussion auf Deutschland reduziert. Das fällt auf, wenn man alle Erwähnungen zu dem Thema mit denen aus dem deutschen Raum vergleicht.

Ab Mai bis Juli 2018 hat die digitale Berichterstattung („Özil“, „Gündogan“,  „Erdogan“) inklusive aller Konversationen zu mehr als 117.400 Erwähnungen geführt.

Anhand der Kennzahlen wird ersichtlich wie relevant das Thema für deutsche User ist.

Alle ErwähnungenErwähnungen Deutschland
11777067714

Fast 60% der Berichterstattung, sowie 75% des Engagements zu dem Thema stammen dabei aus Deutschland:

Das Sentiment sticht sofort ins Auge! Die Kommentare und Berichterstattung zu dem Thema waren weitgehend negativ. Nur am 11. Juni überwiegt das positive Sentiment, welches darauf zurückzuführen ist, dass unterschiedliche Politiker zu dem Thema Stellung genommen haben. Politiker wirken hier also als meinungsverstärkendes Korrektiv!

Betrachtet man im Vergleich das Sentiment in der Türkei, sieht man einen deutlichen Unterschied. Das Sentiment der Erwähnungen die aus der Türkei stammen ist überproportional positiv:

Eine Themenwolke der beliebtesten Hashtags, die bei diesen Erwähnungen genutzt worden sind, zeigt wie politisch über das Thema geredet wurde.

Neben klassischen Fußball-Hashtags fallen politische Hashtags wie #AfD, #MerkelLand, #Demokratie und #Diktatur häufiger auf.

Auch der im Özil-Statement angesprochene Rassismus wird in der Themenwolke aufgegriffen. Hier deuten Hashtags wie #NoMultiKulti, #Integration oder #Faschismus darauf hin, dass #Rasissmus ein Hauptbestandteil bei den Konversationen rund um „Özil“ war.

Wer oder was treibt das Thema an?

Dass das Treffen zwischen den Fußballern und dem türkischen Staatsoberhaupt ein großes Thema war, wird auch deutlich, wenn man sich anschaut, von wem und wo darüber geredet wurde.

Die gesamte Berichterstattung kann auf circa 12.800 individuelle Autoren zurückgeführt werden. Die Autoren verteilen sich auf folgende Medientypen:

In Deutschland hat über die Hälfte (54%) der Autoren für offizielle Quellen (Newspaper, Onlinenews) berichtet. Der Anteil der offiziellen Medien an der Berichterstattung über das umstrittene Foto spiegelt Özils Kritik wider und gibt dieser Recht.

Davon sind andererseits ein Viertel der Autoren (circa 3.000) Twitter Nutzer. Das ist verständlich, da Twitter es für jedermann – von Politikern bis hin zu Fans –  ermöglicht, offen zu Themen wie diesen Stellung zu nehmen.

Interessant ist auch, dass die o.g. drei Personen bis  zum Zeitpunkt des Fotos nie zusammen in einem Tweet erwähnt wurden!  Seit dem 14. Mai 2018 gab es 32.000 Erwähnungen auf Twitter, wodurch dieses soziale Netzwerk für mehr als die Hälfte der Erwähnungen verantwortlich ist.  

Betrachtet man die Autoren, fallen namenhafte Quellen wie bild.de, spiegel.de und welt.de ins Auge.

Berechtigte Özil-Kritik an deutschen Medien.

Die Berichterstattung zu Özil alleine ist ausgeglichen und durch die sozialen Medien Twitter und Instagram geprägt. Auch erzielt Özil ein sehr hohes Engagement, das auf seinen Fußballstar-Status zurückgeführt werden kann. Das wird auch deutlich, wenn man sich die Entwicklung des Sentiments anschaut. Während der Weltmeisterschaft ist das Netto-Sentiment deutlich im Negativen, sicher ein Faktor, der das Ausscheiden der DFB-Elf begünstigt hat. 

Bemerkenswert: Zur Zeit des umstrittenen Fotos war die Stimmung nur kurz im Negativen. Hätte man also einiges retten können?

Die Erwähnungen zu Özil selber werden nicht von den offiziellen Medien/Pressestellen angetrieben. Özils Erwähnungen sind zu fast 60% auf Twitter zu finden.

Vergleicht man die Tonalität der vier Kanäle Blogs, Foren, News und Twitter, fällt auf, dass die Kategorie News die die positivste Tonalität und das meiste Engagement vorweisen kann:

Online-News vs Twitter

Vergleicht man die Erwähnungen von Özil auf Twitter mit den Erwähnungen in den Nachrichten, fällt auf, dass sich die positiven und negativen Nachrichten während der WM und dem gemeinsamen Foto noch ausgeglichen waren. Erst zu Özils Ausstieg aus der Nationalmannschaft wurde die Berichterstattung überwiegend negativ.

Die Erwähnungen auf Twitter haben jedoch seit dem Foto zwischen Erdogan und den Fußballern eine überdurchschnittlich negative Tonalität.

Auch in der Gesamtübersicht ist der Anteil der negativ besetzten Erwähnungen auf Twitter deutlich höher als der Anteil für News, was im Kontrast zu Özils Kritik an den Medien steht. Da Twitter ein quasi öffentliches Medium ist, welches jedem Internet Nutzer eine Stimme gibt, spiegeln die Erwähnungen auf Twitter am ehesten die öffentliche Meinung wider.

Weltweite Verbreitung

In den Top 5 Herkunftsquellen der Erwähnungen ist zum Beispiel auch die USA, UK und Frankreich.

LandErwähnungenAnteil
Germany6771857.50%
United States1185110.06%
Turkey115239.78%
United Kingdom35933.05%
France21601.83%


Die USA, UK und Frankreich mischen in der Berichterstattung mit.

Hat Özils Schweigen zum GAU geführt?

Anders als Özil, hat Gündogan kurz nach der Kritik am umstrittenen Foto ein Statement dazu veröffentlicht:

Vergleicht man die Erwähnungen rund um Gündogan und Özil fällt auf, dass Özil grundsätzlich eine größere Folgschaft besitzt und dadurch mehr Erwähnungen erhält.

Davon abgesehen verhält sich die Entwicklung der Erwähnungen bis zum Statement für beide Fußballspieler gleich:

Während die Erwähnungen für Özil kontinuierlich steigen, bis zum Höhepunkt der durch seinen Ausstieg aus der Nationalmannschaft verursacht wurde, verfolgen die Erwähnungen für Gündogan einen fallenden Trend.

Betrachtet man den Zeitraum genauer fällt deutlich ins Auge, dass Gündogans Statement anscheinend viele Fragen beantwortet hat, da die Konversationen um ihn verstummt sind.

Dies wird auch deutlich, wenn man das Google-Suchinteresse für diese beiden Nationalspieler untersucht:

Anhand der Suchanfragen kann auch festgestellt werden, welche ähnlichen Suchanfragen zu der Person gestellt wurden. Ähnliche Suchanfragen beziehen sich zum Beispiel auf Gündogans Staatsbürgerschaft, welches zeigt wie politisch das Foto der Fußballspieler und Erdogan wahrgenommen wurde.

Dass es für die Deutschen nicht einfach nur ein Foto zwischen „Prominenten“ ist, sondern fast schon „Verrat am Vaterland“, wird von dem Verhalten der gekränkten Fans verdeutlicht:

Was ist seit dem Rücktritt passiert / Wie wurde er wahrgenommen?

Das Statement und der Ausstieg von Özil aus der Nationalmannschaft hat für sehr viele Konversationen und Erwähnungen geführt. Unmittelbar nach Veröffentlichung des Statements, sind die Reaktionen darauf eher negativer als positiver behaftet, welches von dem Net-Sentiment dargestellt wird.

Die Reaktionen auf den Ausstieg und das Statement sind gemischt. Während Özils Fans ihn unterstützen, hagelt es Kritik von öffentlichen Persönlichkeiten:

Fazit: Schlechtes Kommunikationsmanagement, kein Monitoring, Kontrollverlust mit Ansage.

Wie oben gezeigt, gibt es eine Reihe von Hinweisen darauf, dass die DFB-Krise hätte eingedämmt werden können:

  1. Ein frühzeitiges, professionelles Monitoring hätte vor den Stimmungsumschwüngen gewarnt und Oliver Bierhoff mehr Zeit für klare Entscheidungen geben können. Stattdessen Aussitzen und „Wischiwaschi-Statements“ noch im Turnierverlauf.
  2. Das Stimmungsabbild kann bei diesen großen Zahlen als repräsentativ angesehen werden. Der DFB-Tross und Verbandsorganisation bestehen im Projekt FIFA WM 2018 wahrscheinlich aus über 100 Personen: Trainer, Spieler, Physios, Busfahrer bis zum Pförtner in Frankfurt haben alle eine eigene persönliche Meinung zum Fall Özil! Unwahrscheinlich, dass nach der Eskalation noch alle an einem Strang gezogen haben.
  3. Die Erklärung von Bierhoff/Löw die Sache „als erledigt“ zu betrachten, kann in Zeiten von globalen Social Media Aktivitäten nur als naiv gewertet werden. Twitter & Co. sind Brandbeschleuniger!
  4. Özils Entscheidung sich nicht der Presse zu stellen, war danach fatal. Und öffnete die Shitstorm-Büchse der Pandora.
  5. Der Umgang mit der öffentlichen Presse (s. „News“) war schlecht gemanagt. Bild & Co. konnten sich im Sommerloch zu leicht auf das Thema „Özil“ einschießen und, wie oben gezeigt, dem lodernden Feuer täglich Holz nachschieben.

Haben Sie Fragen zu dieser Medienanalyse, unserem Monitoring oder möchten Sie selber ein Thema untersuchen lassen? Kommen Sie mit Ihren Fragen einfach auf mich zu.

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