9. April 2019 | Thorsten Greiten

Wo Rauch ist, ist auch Feuer? Der Fall Wirecard aus Sicht der digitalen Brandbeschleuniger

Die Vorwürfe der Financial Times (FT) gegen den Zahlungsabwickler Wirecard wiegen schwer: Wegen angeblicher Bilanz-Manipulation im Asiengeschäft ist die Aktie des Unternehmens in den vergangenen Wochen mehrfach schwer eingebrochen. Milliarden an Börsenwert wurden vernichtet. Was spielt sich derzeit im digitalen Raum ab?

Wir haben uns die digitale Kommunikation rund um Aktie, Story und IR-Aktivitäten im kompletten ersten Quartal 2019 angesehen und sind auf interessante Einsichten gestoßen. Schon bei Google Trends ist zu erkennen, dass das Interesse an dem Thema Wirecard im Februar 2019 extrem angestiegen ist und in den letzten Wochen einen nie gekannten Höhepunkt erreicht hat.

Interesse an Wirecard im zeitlichen Verlauf (12 Monate) bei Google Trends mit dem Suchbegriff „wirecard“

Wer oder was waren die Treiber dieser Entwicklung?

Die Entwicklung der Social-Media-Aktivitäten korrespondiert erwartungsgemäß mit den Google-Suchanfragen. Ende Januar beginnt der „Shitstorm“, die Tonalität schlägt ins Negative um. Insgesamt wurden in den letzten 12 Monaten bis heute fast 300.000 Bewegungen im Netz registriert.

Was ist im Januar passiert, dass solche Auswirkungen auf den Digital Footprint und den Aktienindex von Wirecard entstanden sind?

Am 29. Januar herrschte die „Ruhe vor dem #Shitstorm“, wie einige Kommentare belegen:

Anhand des ersten negativen Höhepunkts lässt sich der Beginn des #Shitstorms identifizieren. Die Berichterstattung über Betrugsspekulationen bei Wirecard wurden erstmals am 30. Januar 2019 von der Financial Times (FT.com) losgetreten. Dies ist ausschlaggebend für alle weiteren Entwicklungen:

(Quelle: FT.com)

Eine Virality-Map dieses einzelnen Beitrags verdeutlicht, wie schnell und stark sich diese Neuigkeit verbreitet hat:

Welche Medientypen spielen eine Rolle?

Online-News (z.B. handelsblatt.com) und Blogs haben den Beitrag der FT am häufigsten aufgegriffen. Interessant ist, dass Blogs mit Abstand für die höchste Verbreitung sorgen. In der vorherrschenden IR-Meinung werden Social-Media-Kanäle immer noch belächelt, Blogger genießen längst nicht den Status von Wirtschaftsjournalisten. Twitter hat hier zu Beginn die Funktion eines Brandbeschleunigers. 

Betrachtet man nur den 30. Januar, erkennt man, wie stark sich die Berichterstattung im Vergleich zum Vortag verändert hat. Hier war buchstäblich die Hölle los!

Am 30. Januar gab es 370 % mehr Beitrage als am Vortag. Interaktionen mit der Berichterstattung sind über 230 % angestiegen. Das Sentiment der Beiträge ist fast zu einem Fünftel (18 %) negativ und die potenzielle Reichweite ist 90 % höher als am Vortag.

Woher kommen die “Wirecard-Treiber”?

Geografisch betrachtet überwiegt die deutsche Berichterstattung, danach folgen die USA und die Schweiz:

Wann gerät die Kommunikation über Wirecard außer Kontrolle?

In den nächsten Tagen wird deutlich, dass der Shitstorm nun auch negative Beiträge über die Marke Wirecard sowie die Unternehmensführung und -kommunikation produziert.

Die negativen Meldungen haben die positiven eingeholt, damit ist die Kommunikation endgültig außer Kontrolle geraten:

Vor der Veröffentlichung von FT.com hatte Wirecard 1.698 negative Beiträge, was 4 % des gesamten Digital Footprints entspricht. Nach der VÖ auf FT.com hat sich die Anzahl fast verzehnfacht und somit 16.812 negative Beiträge verursacht. Das bedeutet, dass fast 15 % aller Beiträge negativ waren. Der Anteil der negativen Berichterstattung hat sich damit mehr als verdreifacht.

Zusätzlich kann man eine Interaktion zwischen den negativen Beiträgen und dem Aktienkurs erkennen. Kurz nachdem die negative Berichterstattung zugenommen hat, fällt auch schon der Aktienkurs.

Auch interessant ist es, die Konversationen rund um Leerverkäufe mit den negativen Beiträgen gleichzeitig zu betrachten:

Es ist deutlich zu erkennen, dass die Leerverkäufe mit der negativen Berichterstattung einhergehen und die Aktivitäten immer als Reaktion auf die schlechte Stimmung wirken. Die bloße Menge an Leerverkäufen hat sogar dazu geführt, dass die BaFin Finanzaufsicht alle neuen Nettoleerverkaufspositionen oder die Aufstockung bestehender Short-Positionen auf die Wirecard-Aktie bis zum 18. April 2019 verboten hat.

Dieses Verbot der BaFin ist dabei nicht nur eine Reaktion auf die bloße Menge der Leerverkäufe, sondern auch auf Martkmanipulationsvorwürfe. Ab diesem Zeitpunkt wird es zu einem „Krimi“.

Hier einige Meilensteine:

  • 10. Februar 2019: Hausdurchsuchungen (Quelle: yahoo)
  • 13. Februar 2019: Drohende Sammelklagen (Quelle: yahoo)
  • 21. Februar 2019: Kritik an BaFin-Maßnahmen (Quelle: handelsblatt.com)
  • 25. Februar 2019: Erpressungsversuch mit negativer Berichterstattung (Quelle: t-online)
  • 14. März 2019: Strafverfolger nehmen Indiengeschäft unter die Lupe (Quelle: handelsblatt.com)

Was hätten die Investor-Relations-Verantwortlichen der Wirecard AG besser machen können?

Der Eindruck, das Unternehmen Wirecard AG sei mit seinen IR-Aktivitäten überfordert gewesen, bestätigt sich in folgenden Punkten:

  1. Sichtbarkeit: Während der ganzen Krise gibt es fast keinerlei sichtbare Reaktionen im digitalen Raum. Erst einige Tage später reagiert auch endlich das Unternehmen:
    1. 26. März 2019: Offizielle Stellungnahme von Wirecard zu Prüfungsbericht
    2. 29. März 2019: Offizielle Stellungnahme von Wirecard zu Klage gegen FT

Angesichts des o.g. Buzz definitiv zu spät. Schlechte Nachrichten werden bei Google nach oben geschwemmt. Wo blieben die Social Signals? Die Aktie als Spielball. Lediglich ein einzelner Tweet im Corporate Account beschäftigt sich mit dem Thema:

  1. IR-Website als virtuelle Roadshow: Die IR-Website als Content Hub ist in der Krise ein Totalausfall. Hier herrscht Pflicht statt Kür, die Inhalte werden auf das Nötigste reduziert. Das Interesse an der Aktie Wirecard war enorm (s.o.), die Zugriffe auf die Website dürften es auch gewesen sein. Besonders Wirtschaftsjournalisten als Hauptakteure dürften die Seite enttäuscht wieder verlassen haben. Kein Wort zur Investment-Story oder dem Geschäftsmodell, wichtige Infos in PDF-Gräbern, kein Hinweis auf Social-Media-Aktivitäten. Stockfotos statt menschlicher Kontakte. Eine virtuelle Roadshow sieht anders aus.
  2. Social-Media-Monitoring als Must-have in der Krise: Die sozialen Netzwerke mit ihren Effekten wurden unterschätzt. Ein Social-Media-Monitoring hätte gezeigt, wo die “Party stattfindet”, wer Influencer und Treiber sind. Mit einer entsprechenden Content-Strategie und funktionierenden Kanälen hätte man zuhören und reagieren können. Hier gilt das Motto “Build your network before you need it.” Gewünschter Dialog sieht anders aus. Und auch die Trolle scheinen sich nun weiter zu formieren, wie der eine oder andere Twitternutzer feststellt:

Es wird spannend bleiben, deshalb werden wir uns weiter mit dem Thema beschäftigen. Sie haben noch kein Social-Media-Monitoring und brauchen digitale Impulse? Dann zögern Sie nicht, uns anzurufen (02236-3936-850) oder uns über das untenstehende Formular anzusprechen. Wir freuen uns auf Sie!

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