14. April 2021 | Thorsten Greiten

Jugend forsch(t) – Frischer Gegenwind für Investor Relations

Es tut sich was im Land der Weltspartag-Fans! Die Kette neuer, dynamischer und spannender Themen für die Finanzkommunikation reißt nicht ab. Das Deutsche Aktieninstitut überraschte vor einigen Wochen mit einer Stellungnahme zur bundesdeutschen Aktionärsentwicklung.

Die Börse erlebt einen regelrechten Boom in der Gruppe der unter 30-Jährigen: Der Zuwachs 2020 von 600.000 Menschen entspricht einer Steigerung von fast 70 % in dieser Altersgruppe. Natürlich zogen auch andere Alterssegmente in der konsumfreien Corona-Zeit mit. Es gibt 2,7 Millionen neue Aktionärinnen und Aktionäre. Damit ist jede/r Sechste ab 14 Jahren in Deutschland an der Börse aktiv. Die Anleger:innen werden also jünger, informieren sich mobiler, fragmentierter, unkonventioneller. Auch sind die Multiplikatoren andere: YouTuberin statt Bankberater, Podcast statt Börsen-Zeitung.

Entwicklung der Aktienanleger:innen nach Altersgruppe (Quelle: Deutsches Aktieninstitut e.V.)

Worin liegen die Gründe für den Interessenzuwachs in der jungen Generation?

Eindeutige Beweggründe zu benennen, die junge Leute in Scharen an die Börse führen, würde den verrückten Zeiten, in denen wir leben, nicht gerecht. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus allem, was sich in den letzten 12 Monaten getan hat. Hier einige Theorien:

  • Digitalisierungsschub und Fintech-Angebote
    Das klassische Banking steht unter Druck, Player mit frischen Geschäftsmodellen drängen auf den Markt. Die etablierten Banken haben Investitionszyklen verschlafen und kämpfen mit hohen Fixkosten, wie einem teuren Filialnetz oder veralteter IT. Diese Kosten sollen durch hohe Gebührenmodelle in irgendeiner Form gedeckt werden. Die neuen Spieler verzichten auf klassische Provisionsmodelle und stationäre Fixkosten. Statt uralte Prozesse aus den 1990er Jahren digital abzubilden, werden Apps auf den Markt gebracht, die ausschließlich den User ins Zentrum stellen. Geringe Trading-Kosten und risikoarme Produkte (z.B. MSCI ETF) machen den Einstieg auch mit kleinem Kapital und die Kontrolle über das eigenen Anlageportfolio möglich. Das Smartphone ermöglicht schneller auf Kapitalmarkttrends zu reagieren und erfolgreiche Handelsmuster effektiv zu imitieren.
  • Usability ersetzt den gierigen Berater
    Neue Technologien und Apps machen das Handeln an den Börsen leicht zugänglich. Die Konto- oder Depoteröffnung erfolgt per Webcam und Smartphone mit dem Personalausweis in 10 Minuten. Die Formel heißt: Schickes Design + hohe mobile Funktionalität = Zugang zu internationalen Finanzmärkten, gepaart mit dem Thrill, die Kurse live verfolgen zu können. Mit wenigen Klicks zum mutigen Selbstentscheider.
  • Zeit nachzudenken und freies Kapital
    Es herrscht perfekte Goldgräberstimmung. Die Zinsen sind niedrig, das Sparbuch lohnt sich nicht mehr. Die Zentralbanken lassen das Geld billig und überschwemmen die Märkte. Gleichzeitig tobt eine weltweite Pandemie, die teuren Konsum, Fernreisen oder Immobilien-Investments ersticken. Noch nie stand dem einzelnen Bürger so viel Eigenkapital zur Verfügung, das nach Anlagemöglichkeiten sucht. Außerdem hat der „Freiraum“ im Lockdown auch die Möglichkeit gegeben, sich mit den eigenen Finanzen auseinanderzusetzen und sich neue Dinge anzueignen.
  • Finanz-Influencer und soziale Medien
    Sich selbstständig mit Finanzen zu beschäftigen ist schick, schließlich will man mitreden. Influencer, Coaches und Berater:innen greifen das Thema „Investieren“ verstärkt auf, erklären es verständlich und zielgruppengerecht und erreichen somit eine demografische Gruppe, die bisher nur wenig Berührung mit der Börse und Aktien hatte. Dieser Imagewandel durch Influencer:innen macht die bisher fremde Börsenwelt attraktiver. In vielen Beiträgen wird vor allem der kritische Blick auf die Altersvorsorge thematisiert: ein Antrieb für die junge Generation, die sich fragt, wie das Rentensystem in 20, 30, 40 Jahren aussehen wird. Trifft dieser Trend auf gut funktionierende Social-Trading-Plattformen, kann es unter den derzeitigen Umständen zu starken Herdentrieben kommen und die Kurse schießen schnell in die eine oder andere Richtung.
  • Beste Einstiegskurse bei steigender Risikobereitschaft
    Der Börsencrash im Frühjahr 2020 hat neuen Privatanlegern und -anlegerinnen die Möglichkeit gegeben, günstig zu investieren. Das wurde scheinbar als Chance genutzt, um sich erstmalig mit der Börse und dem Aktienhandel auseinanderzusetzen. Die Euphorie ist bei vielen ist groß, weil die meisten Aktien bisher nur eine Richtung kannten. In Zeiten von globalen Krisen wie Klima und Pandemie dürfte sich auch bei vielen Jugendlichen eine Trotzhaltung entwickeln, weil sie glauben, dass sie sowieso weniger zu verlieren haben als frühere Generationen.

Was bedeutet das für die Investor Relations?

  • Beantworten Sie „Why invest?“!
    War es bei früheren Investoren eine attraktive Dividendenrendite, die zog, so ist es heute ein ganzes Bündel an Fragen, die ein börsennotiertes Unternehmen seiner Investment-Story beantworten muss. Junge Anleger haben noch eine Menge Zeit vor sich. Deshalb wollen sie wissen, wie zukunftsträchtig ihre Investition ist. Hinter allem steckt die Frage „Warum?“:
    • Warum sollte ich die Produkte des Unternehmens in Anspruch nehmen oder konsumieren?
    • Warum sollte ich mich auf langfristige Verträge einlassen? Warum sollte ich mich bei diesem Unternehmen vielleicht sogar bewerben?
    • Warum sollte ich hier meinen letzten Euro, den ich in der Tasche habe, investieren?
    • Welchen Beitrag leistet das Unternehmen zur gesellschaftlichen, ökologischen oder sozialen Entwicklung?
    Das ganze Fragenbündel muss – gerade von IR – beantwortet werden. Ergibt nur eine Antwort keinen Sinn, verschwindet das Unternehmen sofort vom eigenen Radar!
  • Bilden Sie Ihre innovativen, digitalen und nachhaltigen Themen ab!
    Viele ETFs bilden thematische Fonds, bei denen die Darstellung von Investitionen in disruptive Unternehmen im Fokus steht. Sie sprechen junge Anleger an, die am meisten von den zugrunde liegenden Makrotrends profitieren können. Weiterhin üben sie eine breite Anziehungskraft auf diejenigen aus, die
    • Appetit auf Strategien mit gewissem Risiko und entsprechender Belohnung haben,
    • die das technologische Tempo stark widerspiegeln und
    • ihr Wachstum unmittelbar aus Megatrends ziehen oder
    • Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stellen.
    Sorgen Sie dafür, dass Ihr Content wichtige thematische Cluster beinhaltet, die ihren Weg durch die Filterblasen hin zum maschinellen Analysten finden.
  • Entwickeln Sie eine vernünftige Content-Strategie!
    Junge Anleger:innen sind 24/7 – quasi ununterbrochen – auf einer Vielzahl mobiler Devices im digitalen Raum unterwegs. Die aktive Suche nach Informationen auf einer Konzern-Website findet dagegen nur selten statt. Stattdessen liefern Apps, Communitys und Streams ein zielgenaues Bombardement von vorgefilterten Informationen, die zum bisherigen User-Verhalten passen. Die Finanzkommunikation muss dafür sorgen, in diese Filterblasen einzudringen, so dass die Informationen zum User kommen, umgekehrt funktioniert es nicht mehr. Der dynamische Content, der o.g. Investment-Story sollte in einer Omnikanal-Strategie den Weg zum (potenziellen) Anleger finden.
  • Social-Media-Monitoring als Must-have
    Schützen Sie sich durch die Nutzung entsprechender Tools und aktives Social-Media-Listening vor unliebsamen Überraschungen. Wenn Sie die Influencer Ihrer Aktie kennen und studieren, sind Sie schnell in der Lage, die gleichen Mechanismen, Methoden und Prinzipien nutzen, um zur richtigen Zeit die richtigen Informationen in die besten Kanäle zu spielen. Shortselling-Attacken, Bewegungen durch Herdentrieb oder störende Stimmen für eine Hauptversammlung können so schneller zu Ihnen durchdringen. Es bleibt genug Zeit für Gegenmaßnahmen.
  • Mobile first: Form follows function!
    Bereits vor 6 Jahren verkündete Google, dass zum ersten Mal mehr Anfragen durch mobile Endgeräte als durch Desktop-Rechner erfolgte. Der Suchmaschinen-Riese reagierte auf diesen Trend und bevorzugt Websites, die mobil optimiert wurden. Ab sofort muss es heißen „Mobile first“ in allen Bereichen:
    • Technik & Performance
    • Service & Usability
    • Customer Journey & Design
    Da auch die Aufmerksamkeitsspanne der User stetig sinkt, sollte man sich also auf das Wesentliche beschränken. Schneller Zugriff auf Informationen – für das Smartphone optimiert – sollte im Fokus der Konzeption stehen. Die Technik muss auf Schnickschnack und unnötige Funktionen oder Features verzichten und eine gute Performance in den Mittelpunkt rücken.
Überblick über die arbeitenden Generationen (Abbildung in Anlehnung an Barclays, wealth.barclays.com)

Grundsätzlich ist es ein Segen für alle Beteiligten am Kapitalmarkt, dass der Nachwuchs massiv nachzieht. Es ist daher gemeinsame Aufgabe von Börsen, Emittenten, Politik und Banken durch gute Kommunikation und transparente Aufklärung junge Anleger:innen auch nach den ersten Schwierigkeiten oder Rückschlägen von den Möglichkeiten einer Unternehmensbeteiligung zu begeistern. Antworten auf die Frage „Why invest?“ müssen alle Beteiligten liefern, nicht nur IR-Abteilungen.

Wünschen Sie sich Unterstützung für Ihre digitale Finanzkommunikation, insbesondere im Hinblick auf Nachhaltigkeit und die junge Zielgruppe? Wir bieten Ihnen zwei kostenlose virtuelle Workshops zu Ihrer IR-Kommunikation an:

Melden Sie sich einfach jederzeit per E-Mail, Kontaktformular oder telefonisch unter 02236/3936-6 – wir vereinbaren gern einen Termin mit Ihnen!

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